Kastanien-Sämlinge im Vorzucht-Beet

Esskastanien in Norddeutschland?

In unserem Artikel vom 23.10. klingt es schon an: Es gibt in Verden Probleme mit Spätfrösten. Das heißt, es gibt sehr starke Fröste, nachdem die Knospen sich schon geöffnet haben, die dadurch erfrieren. Darauf hin sterben die jungen Äste ebenfalls. Sind schon dickere, mehrjährige Äste oder Stämme vorhanden, überleben diese teilweise. Grundsätzlich aber gelingt es den Bäumen nicht zu wachsen: Nur wenn Jahre ohne Zurückfrieren verlaufen, kann  der dauerhaft überlebende Teil der Krone größer werden. Ziel ist es, einen Baum über eine bestimmte Größe hinaus zu bekommen – denn umso größer ein Baum ist, umso überproportional besser verträgt er die Spätfröste. Wenn ich starke Fröste sage, sind Temperaturen unter -3,5°C gemeint.

Wir machen die Erfahrung, dass unterschiedliche Minimax-Thermometer unterschiedliche Temperaturen messen. Eigentlich alles „TFA“-Thermometer, die hier in Fachgeschäften in Verden dominieren: Bislang zeigten die klassischen Quecksilbersäulen-, die aktuellen mit der orangen „quecksilberfreien / umweltfreundlichen Kapillarfüllung“ und „Digital Thermo“ Abweichungen voneinander von immer wieder bis zu einem Grad. Was ist echt???

Wir haben ca 100 Kastanien-Individuen, alles Sämlinge von relativ großfruchtigen norddeutschen Bäumen. Die Individuen öffnen ihre Knospen teilweise zu unterschiedlichen Zeitpunkten und ihre jeweiligen Blätter sind unterschiedlich empfindlich gegen die Temperatur.

Wir haben lange Zeit versucht, mit Hilfe von kleinen Zelten oder Tipis aus Betonstahlstangen und Laken physischen Spätfrost-Schutz über die kleinen Kronen zu stülpen. Unter -7°C hilft aber auch diese Schutzwirkung nicht mehr (stärkeres Material, z.B. Mauererkübel, bringt mehr Schutzwirkung). Dieser Schutz ist ein hochaufwändiges Verfahren, da die Bäume immer wieder aufgedeckt werden müssen (sie brauchen zur Ausreifung der Blätter ja Licht). Irgendwann ist ein Einwickeln von Bäumen mit haushaltsüblichen technischen Mitteln auch nicht mehr möglich, weil die Leiter zu kurz ist etc.. Diese Erfahrung haben wir heuer mit unseren heimischen Walnuss-Kultivaren gemacht, die vom selben Spätfrost-Problem betroffen sind.

Eigene Beobachtungen und Vergleiche der vorhergesagten Temperaturen haben uns gezeigt, dass Spätfrostnächte, die bei uns auf dem recht offenen Geestrücken mit -8°C auf dem Thermometer angezeigt waren, an der Wettermessstation Bremen-Flughafen mit nur -2°C gemessen werden (einen tollen Wetterrückblick über viele Jahr gibt es bei http://www.wetteronline.de/rueckblick?mc=mc_data).

Folgende Grafik zeigt eine Auswertung der wetteronline-Daten seit 1999 im Bezug auf starke Spätfröste im April und Mai.

An der relativ linear absteigenden Linie sehen wir, dass die Spätfrostgefahr kontinuierlich abnimmt. Ein Ziel ist für uns folglich eine Sorte, die möglichst spät ihre Knospen öffnet.

Ich habe im Buch „Chestnuts – production and culture“ von Crawford(1995) Angaben zu Knospenöffnungs-Zeit und Samen-Reifezeit für 31 Sorten gefunden. Ich habe mich gefragt, wie stark die Korrelation zwischen Knospenöffnungs-Zeit und Samen-Reifezeit ist, denn es finden sich weitaus öfters Angaben zur Reifezeit als zur Knospenöffnung der Sorten.

Diese Grafik zeigt den Zusammenhang zwischen Knospenöffnungs-Zeit und Samen-Reifezeit der angesprochenen 31 Sorten. Die Zahlen auf der y-Achse sind eine Abstraktion der Zeit-relativen Kategorien, die Crawford verwendet:

  1. =very early
  2. =early
  3. =early middle
  4. =middle late
  5. =late
  6. =very late

Die folgende Grafik zeigt noch einmal die Häufigkeiten der Abweichungen, sortiert nach der Größe der Abweichungen.

Sie gibt somit die Wahrscheinlichkeit an, dass von der Reifezeit falsch auf die Zeit der Knospenöffnung geschlossen wird.

Wir sehen grob eine Normalverteilung. Die Einbrüche bei 0,5 und -0,5 ergeben sich einfach daraus, dass die Sorten bei Crawford meistens einer, manchmal aber auch zwei Zeit-Kategorien zugeordnet wurden (manche Sorten hatten z.B. sowohl „very early“, als auch „early“).

Die durchschnittliche Abweichung zwischen Reife und Knospenöffnung ist 0,75 Kategorien. Wenn Du mehrere Sorten pflanzt, kannst Du auf diese Weise die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass wenigstens eine Sorte eine geringe Abweichung hat (den Wahrscheinlichkeits-Rechnungs-Part lass ich jetzt hier mal weg, hatten wir ja alle schon mal in der Orientierungsstufe…) und damit Rückschlüsse von Reifezeit auf Knospenöffnung zulässt.

Grundsätzlich lässt sich also sagen: „Wer spät reif wird, treibt auch spät seine Knospen aus“.

Aaaber in Norddeutschland besteht angeblich die Gefahr, dass es einer Kastanie in einem spezifischen (schlechten) Jahr nicht gelingt, ihre Früchte auszureifen. So sagt der Agroforestry Research Trust (ART) auf seiner http://www.agroforestry.co.uk/plantorders.html unter „Chestnuts“: „Northern areas should use early ripening selections.” – Scheint also so (s.o.), als ob wir um das Problem schwerlich drumrum kommen.

Was genau es eigentlich bedeutet, wenn Esskastanien nicht reif sind, wie ihre Genießbarkeit dann ist, ob sie in der Miete nachreifen, darüber weiß ich nichts. Und eine google-Suche auf deutsch und englisch bringt dazu auch keine verwertbaren Ergebnisse.

 

Kastanienrindenkrebs – cryphonectria parasitica

ist eine für die Esskastanien-Bestände vernichtende Krankheit, die eigentlich schon im letzten Jahrhundert ihre Globalisierung abgeschlossen hat. In Nordamerika ist die nacheiszeitlich heimische Castanea dentata im 20.Jahrhundert praktisch ausgerottet worden. Für Castanea sativa ist die Sache im Mittelmeerraum anschließend etwas glimpflicher verlaufen: Sativa ist zum einen nicht ganz so anfällig, zum anderen haben sich im Mittelmeerraum teilweise hypervirulente Stämme durchgesetzt, die ein Überleben des Baums ermöglichen. Auf der Alpennordseite ist dieses Glück im Unglück nicht aufgetreten (1). In den kommerziellen Anbaugebieten werden inzwischen flächendeckend Impfungen mit hypervirulenten Stämmen vorgenommen. Für mich als Hobby-Gärtner_in in einem low-tech-Modell-Garten eine uninteressante Option.

Unabhängig davon scheint mir das Problem in der bundesrepublikanischen Privatgärtner_innenszene wenig präsent. In den großen Baum-Fan-Foren (z.B.  garten-pur.de, wo viele Diskussionen zu den ungewöhnlichsten Exoten laufen) gibt es bisher wenig Erfahrungsaustausch zum Umgang mit dem Krebs (bisher allerdings auch noch keine von uns angestoßene Diskussion zu dem Thema;-)).

Auch auf der Kapitalist_innen-Seite, den regionalen Baumschulen, wird entsprechend business-as-usual favorisiert und den Verbraucher_innen größtenteils dasselbe wie in den 80ern angeboten. Mein Tipp ist, dass viele Menschen in den nächsten Jahrzehnten ihre Esskastanien verlieren werden. Und ich bin gespannt, ob unsere geschlechtlich vermehrten Individuen in Verden auch dazu gehören werden. In der akademischen Botaniker_innen-Szene hat sich eine düstere Gefahren-Prognose schon in den nuller Jahren durchgesetzt (z.B. http://dpg.phytomedizin.org/fileadmin/daten/04_Verlag/03_JB/Jahresbericht_2009.pdf).

Eine der wenigen bundesrepublikanischen Baumschulen, die wenigstens teilweise mit ihrem Sortiment dem Problem Rechnung tragen ist baumschuleritthaler.de. Die sitzen zwar im südlichen Rheinland-Pfalz und nicht in Niedersachsen, aber wenigstens weisen sie schon auf eigene Erfahrungen vom 49. Breitengrad hin, und ich hoffe auch der benachbarte Pfälzerwald mit Höhenlagen bis zu über 600m konnte Erfahrungen über widrige Klimate beisteuern. Ritthaler führt ein paar modernere, französische Sorten, in die die resistenteren, asiatischen Arten (vor allem s. crenata) eingekreuzt worden sind. Besonders interessant finde ich Ritthalers Aussage zu ‚Précoce Migoule’: „spätfrostverträgliche Edelkastanie (…) milde Lagen, bei Frostschaden aber 2. Blüte aus Sekundär-Knospen“.

Ein strukturelles Problem bei der Einkreuzung von s. crenata könnte nämlich sein, dass sie „aufgrund ihres früheren Austriebs aber empfindlicher gegen Spätfröste“ ist (http://de.hortipedia.com/wiki/Castanea_sativa).

In der Konsequenz erwägen wir ein paar ‚Précoce Migoules’ zu beschaffen und in den ersten Jahren starken Spätfrost-Schutz (z.B. Wolldecken, evtl. unterstützt durch Gerüste) zu praktizieren.                                                                                                   Was schlagt Ihr vor?   Wie sind Eure Erfahrungen?

 

Kommentar auf der Facebook-Seite “Essbarer Waldgarten” vom 17.11.: Emi Fazekas Diese Maronibäume stehen in “Sibirien Ungarns”, Salgòbànya (600m ü.M.) Seit 45J säe ich sie aus, wo nur kann. Immer Direktsaat, wenn werfen will, dann in Erdball, was durchfrieren lasse. Meine Lieblingszeit dafür Jänner, wenn so richtig friert und Schnee legt. Ich weiss es nicht, wieso, aber es haut recht gut hin: was ich so vor 40J gesät habe, schon ein Miniwald entstanden am Waldrand, im Tatarengraben, die brav auch Früchte bringen. Damals säte sie in Faustgrosse Löcher und mit Laub bedeckt. Durch diese Waldrandlage sind sie am frühen Austreiben gehindert. Diese Erscheinung, dass z.B. Wallnussbäume im Wald, die durch Eichhörchen, Eichhecheln “gesät” gewesen, nie abfrieren bei Spätfroste, beobachtete schon als Kind. Wenn im Dorf alle Nussbäumen erwischt wurden von Maifröste, die im Wald blieben verschont. Am Ende des Grundstücks war ein Fussballplatz ins Berghang gebaut, über diese ein Walnusswaldgarten, mit ca. 60 alte Bäumen. Die vordere Reihen, die nach S gerichtet waren und Direktsonne bekamen, trugen selten, da sie ständig abfrierten. Sie waren aber die dicksten. 3 Nussbäume am gegenüberliegende Seite des Tals, also nach N, frierten nie ab. Das versuchte ich nachahmen: so gesät, wie Eichhörchen, in kleine Delle reinlegen und mit Laub zudecken. Dann immer so, wo beschattet wird, um das Frühaufwachen verhindern. Ich habe die langjährige Erfahrung gemacht, dass bei “Problemstellen” nicht zielführend, die ausgetriebenen Laub zu schützen. Was gut geht, das frühe Austreiben verhindern. Das geht am besten mit Beschattung des Stammes, damit die am dunklen/grauen Rinde antreffende Sonnenstrahlen die Sanfzirkulation nicht zu früh starten. Das geht mit Schilfmatte (umbinden) oder sonstige luftdurchlässige Material), solang sie jung sind. Später das Einfachste ist ein Weissstrich zu verpassen mit verdünnten gelöschten Kalk im Spätherbst. Auch im Winter geht, aber dann schwerer. Die Methode ist in Länder mit kontinentalen Klima (kalte Winter, heisse Sommer, wenig Niederschlag) sehr weit verbreitet. Marillen, Pfirsiche, Kirschen, Weichsel/Sauerkirschen und fast alle Obstbäume werden so gehindert, dass sie von Wintersonne am Stamm zu früh aufgeweckt werden. Was ich noch sehr wichtig finde: Sämlinge, also Direktsaat ist immer zähiger, wie die Bäumchen aus d. Baumschule. Sie sind nicht kastriert, sie haben ihre intakte Pionier-/Wassersucherwurzel, ihre Krone ist nicht beschnitten, stressfrei dürfen sie sich entwickeln, was gerade in der junge Jahren immens wichtig und sie werden davon ein lebenslang geprägt. Ganz, wie bei Mensch oder andere Lebewesen: der Start ins Leben bestimmt die Entwicklung.

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